FAKTENCHECK FLÄCHENVERBRAUCH

Wo ist all die Fläche hin?

In den Argumenten gegen Sand- und Kiesgewinnung wird immer wieder der angeblich so große Flächenverbrauch aufgeführt. Dabei wird vor allem regelmäßig darauf hingewiesen, dass diese Flächen der Landwirtschaft in der Region verloren gehen (und deshalb sogar die Volksernährung gefährdet sei). Es wird behauptet, "dass der Kiesabbau zum großflächigen Verlust landwirtschaftlicher Flächen (...) führt, die für die Nahrungsmittelproduktion, für die Produktion von nachwachsenden Rohstoffen und für den Natur- und Artenschutz nicht mehr zur Verfügung stehen" (Niederrheinappell). Natürlich steht es außer Frage, dass ein Baggersee Platz braucht, aber sind diese Abgrabungen tatsächlich die großen "Flächenklauer" im Land? Hier kommen die Fakten:


Fläche in Nordrhein-Westfalen


Nordrhein-Westfalen ist zwar das bevölkerungsreichste Bundesland, hat aber nicht die größte Fläche. NRW ist daher ziemlich dicht besiedelt. Insgesamt umfasst das Land 3.411.200 Hektar (Quelle: Statistisches Landesamt NRW). Ende 2019 waren davon 0,8 Prozent stehende Gewässer (darunter die künstlich angelegten Baggerseen). Fast dreiviertel des Landes bestehen aus Vegetationsflächen (74,5 Prozent). Den größten Anteil hat mit 1.607.848 Hektar (ha) dabei die Landwirtschaft. Rund 568.600 ha (16,7 Prozent der Gesamtfläche) sind besiedelt (Wohnbaufläche / Industrie- und Gewerbefläche / Sport-, Freizeit- und Erholungsflächen). Allein an diesen Zahlen lässt sich schon ablesen, wie wenig Fläche die Sand- und Kiesgewinnungsstätten im Vergleich zu anderen Nutzungsarten verbrauchen.

Flächenverluste für die Landwirtschaft


Die Fakten sprechen in Sachen Flächenverlust eine deutliche Sprache: Die Landwirtschaft verliert tatsächlich immer mehr Land! Allein in den vergangenen drei Jahren ist die landwirtschaftliche Fläche in NRW um 23.987 Hektar zurückgegangen (Quelle: Statistisches Landesamt NRW). Das bedeutet, dass die Landwirtschaft von Ende 2016 bis Ende 2019 täglich über 21 Hektar an Fläche verloren hat. Das macht tatsächlich nachdenklich und die Frage ist: Was ist mit dem Land passiert? Wer rechnen kann, ahnt schon, dass daraus keine Baggerseen geworden sind, denn dann hätte sich die Fläche der stehenden Gewässer in NRW innerhalb von drei Jahren fast versechsfachen müssen. Das ist natürlich nicht der Fall.



NRW wird keine Seenlandschaft


Es gibt aber tatsächlich eine Zunahme der Fläche bei den stehenden Gewässern in NRW (darunter fallen übrigens auch Teiche). Innerhalb der genannten drei Jahre hat die Fläche um 630 Hektar zugelegt. Diese Größenordnung hat die Landwirtschaft in diesem Zeitraum statistisch gesehen innerhalb von vier Wochen eingebüßt. Es handelt sich nur um rund 2,6 Prozent der verlorenen landwirtschaftlichen Fläche (Quelle: Statistisches Landesamt NRW). Die Aussage, dass die Baggerseen die Äcker im Land im großen Stil vernichten würden, ist also absolut nicht haltbar. Aber welche Fläche nimmt denn stattdessen enorm zu? Natürlich steigt der Anteil der besiedelten Fläche, aber beim Blick in die Statistik fällt besonders der Bereich "Gehölze" auf (Gehölze umfassen Naturräume, die mit einzelnen Bäumen, Hecken und Sträuchern bepflanzt sind). Hier gab es zwischen 2016 und 2019 einen Zuwachs von fast 17.000 Hektar. Das entspricht rund 71 Prozent der "verschwundenen" Äcker im Land. Am Niederrhein (in den Kreisen Wesel und Kleve) sind in den beschriebenen drei Jahren 1.721 Hektar landwirtschaftliche Fläche verloren gegangen, die Gehölzfläche hat dabei um 1.584 Hektar zugelegt (Quelle: Statistisches Landesamt NRW). Das entspricht sogar 92 Prozent (!) der "vernichteten" Ackerflächen.



Extreme Zunahme der Gehölzfläche


Bei der Zunahme um fast 17.000 Hektar im Bereich "Gehölz" handelt es sich zumindest um Vegetationsfläche, also um unbebaute Natur. Nur: Wo kommt die her? Experten aus der Landwirtschaft bestätigen, dass es sich dabei größtenteils um sogenannte Ausgleichsflächen handelt. Wann immer ein Baugebiet ausgewiesen oder eine Straße gebaut wird, verschwindet ein Stück freie Landschaft (übrigens auch, wenn darauf Holzhäuser gebaut werden). Diese Flächen boten vorher Pflanzen und Tieren eine Heimat, häufig wurden sie auch landwirtschaftlich genutzt. Um den Verlust für die Natur wieder auszugleichen ist im Rahmen der so genannten Eingriffsregelung vorgeschrieben, dass an anderer Stelle Lebensräume naturschutzfachlich aufzuwerten sind. Da für diese Ausgleichsflächen häufig ebenfalls landwirtschaftliche Flächen herangezogen werden, bedeutet dies in vielen Fällen einen weiteren Flächenverlust für die Landwirte. Sie sind durch die Bautätigkeiten also in doppelter Hinsicht betroffen.


Kaum Ökopunkte für die Landwirtschaft


Für die Schaffung der Ausgleichsflächen gibt es ein landesweit einheitliches Bewertungsverfahren mit „ökologischen Werteinheiten“ (ÖWE). Dabei erhält jeder Biotoptyp einen Wert von null (vollversiegelte Fläche) bis zehn (Feuchtgrünland, Bruchwälder). Diese Bewertung gilt auch für landwirtschaftliche Flächen. So werden Ackerflächen mit zwei Punkten bewertet, Grünland mit vier Punkten, alte Obstwiesen mit neun Punkten und Magergrünland mit zehn Punkten. Wer also etwa einen Acker in eine Wiese umwandelt, kann sich dafür Ökopunkte bei der Kommune gutschreiben lassen, weil eine Wiese „ökologisch wertvoller“ ist als ein Acker. Es sind also in NRW (im besagten Zeitraum) 17.000 Hektar "ökologisch wertvolle" Naturflächen entstanden.


Video-Faktencheck unseres Bundesverbandes Mineralische Rohstoffe zum Thema "Flächenverbrauch"


NRW wird grün besiedelt


Der Vollständigkeit halber schauen wir uns auch noch die besiedelten Flächen im Land und am Niederrhein an. Natürlich ist auch die Siedlungsfläche in NRW zwischen 2016 und 2019 größer geworden. Sie steigt in diesem Zeitraum um 8.419 Hektar auf insgesamt 568.628 Hektar an. Größter "Gewinner" sind dabei aber die Grünanlagen mit einem Plus von über 5.800 Hektar. Das sind 69 Prozent der Gesamtzunahme. Zum Vergleich: Die Industrie- und Gewerbeflächen legen landesweit nur 142 Hektar (1,7 Prozent der Gesamtzunahme) zu. Am Niederrhein (Kreise Kleve und Wesel) gibt es bei der Siedlungsfläche ein Plus von 383 Hektar, insgesamt waren Ende 2019 32.849 Hektar Fläche besiedelt. Der Bereich Industrie und Gewerbe verliert hier sogar 127 Hektar.


FAZIT:


Die vorgestellten amtlichen Zahlen belegen eindeutig:


1. Die Baggerseen, die wegen der (ehemaligen) Sand- und Kiesgewinnung entstehen, sind nicht die großen "Flächenverbraucher" im Land.


2. Der massive Rückgang der landwirtschaftlichen Fläche kann ebenfalls nicht auf den Verbrauch durch Baggerseen zurückgeführt werden.


3. Ein großer Teil der landwirtschaftlichen Fläche wird letztendlich durch gesetzlich geregelten "Naturschutz" vernichtet.

(Das Vorgehen soll hier nicht bewertet werden, es wird lediglich festgestellt)


4. Es entsteht (im oben genannten Zeitraum) 36 mal mehr Grünfläche (17.000 ha "ökologisch wertvolle" Gehölzfläche + 5.800 ha öffentliche Grünfläche) als (Bagger-)Seefläche.


5. Dass die Flächen für Sand- und Kiesgewinnung nicht mehr dem Natur- und Artenschutz zur Verfügung stehen, kann man auch nicht behaupten. Infos dazu gibt es hier!


Hinweis: Alle oben verwendeten Zahlen stammen aus der offiziellen Datenbank des Landesbetriebs IT.NRW und sind für jeden Interessierten abrufbar. Außer Addition und Subtraktion wurden keinerlei Rechenoperationen mit den "nackten" Zahlen durchgeführt. Die benötigten Zahlen zu den "Bodenflächen nach Art ihrer tatsächlichen Nutzung" sind in der Datenbank erst ab 2016 abrufbar.

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